Der niederländische Autor Arnon Grünberg hat mit "Gnadenfrist", "Der Heilige des Unmöglichen", "Phantomschmerz" und "Blauer Montag" sehr bizarre, komische auch merkwürdige Bücher geschrieben und jetzt präsentiert er mit "Tirza" eine ganz bitterernste, beklemmende, bedrückende Geschichte.
Zum Plot: Es geht um einen Vater. Sein Name ist Jürgen Hofmeester. Zunächst sieht alles ganz ordentlich aus. Der Ende fünfzigjährige, gut situierte Familienvater wohnt mit seiner Familie in einem schicken Haus, in einer ansprechenden Wohngegend. Er erfüllt seine Vaterrolle scheinbar vorbildlich. Aber wie so häufig im Leben, die Fassade trügt.
Der Protagonist war Lektor in einem Verlag, wurde dort aber vor einiger Zeit beurlaubt, weil die Ergebnisse seiner Arbeit unbefriedigend waren. Seine Familie erfährt davon nichts. Hofmeester verlässt wie gewöhnlich morgens sein Haus, geht satt in den Verlag in die Stadt, auf den Bahnhof und kehrt abends scheinbar abgearbeitet nach Hause zurück. Dort ist es auch nicht mehr wie es einst war. Die älteste Tochter spricht schon lange nicht mehr mit dem Vater, die Frau betrügt ihn mit einem Liebhaber, hat die Hausgemeinschaft verlassen. Ihm ist nur seine jüngste Tochter Tirza geblieben, die liebt er abgöttisch und ihr erfüllt er jeden Wunsch. Für sie plant er auch die bevorstehende Abiturfeier. In die Vorbereitungen platzt die Mutter herein. Sie steht eines Tages vor der Tür, die Liebesaffäre ist beendet, ihr Lover hat sie vor die Tür gesetzt. Die Abiturfeier gerät zum Chaos, nichts läuft in geplanten Bahnen. Dann will seine Tirza mit einem Freund unbedingt nach Afrika, ausgerechnet mit einem Burschen der für Hofmeester verdammte Ähnlichkeit mit dem von einem nationalsozialistischen Weltbild geprägten Mohammed Atta, einem Attentäter des 11. September, aufweist.
Hofmeester steigert sich in abwegige Visionen, und Grünberg brilliert, wie er nun in einer ergreifenden Art und Weise erzählt, wie in diesem sexuell, beruflich und familiär gescheiterten und gebrochenen Mann so etwas wie Wahnvorstellungen entwickeln. Der Erzählstrang wird Schritt für Schritt immer weiter fokussiert.
Die Erniedrigungen und die grenzenlose Demut kann er einfach nicht mehr ertragen, in seinem gesteigerten Aktionismus fällt er aus der Rolle, steuert in eine noch größere Katastrophe, als es scheinbar seine Familie war, reißt alle mit. Letztendlich liegt aber die Schuld nicht immer bei den anderen, sondern der Teufel Schuld ist häufig in uns selbst. Er wollte die Vaterrolle richtig gut spielen, nicht einmal das gelingt ihm. Ein wunderbares Buch, dieses Familiendrama ist rasant geschrieben, spannend wie ein Krimi erzählt, von unglaublicher Sogkraft, in einer Klarheit der Sprache, die geradezu phantastisch ist. Arnon Grünberg gehört zweifellos zu den brillantesten zeitgenössischen Erzählern, Kolumnisten und Essayisten.
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