Am höchsten bewertete kritische Rezension
13 Personen fanden diese Informationen hilfreich
3,0 von 5 SternenEntspannter Altherrenrock aus der Schweiz
VonSTBam 6. Mai 2013
Was die Scorpions für Deutschland, das sind Krokus für die Eidgenossen: der erfolgreichste Rock-Exportschlager des Landes. Allerdings bewegen sich Chris von Rohr und seine Mannen kommerziell gesehen in wesentlich überschaubareren Gefilden. Nichts desto trotz gehören sie spätestens seit Mitte der 1980er zu den bekanntesten Rockbands Kontinentaleuropas. Mit ihrem satten Riffrock, der nicht selten an AC/DC erinnert, feiern sie auch in den USA kleinere Erfolge und werden sogar Ehrenbürger von Tennessee. Nach einigen internen Streitereien und ständigen Besetzungswechseln gelingt ihnen mit dem Comeback-Album "Rock the Block" aber erst 2003 ihre erste Nummer 1 in der Heimat. Seitdem sind sie wieder ganz oben. Vor allem das 16. Album "Hoodoo" von 2010 katapultiert sie zurück ins Wahrnehmungsfeld ergrauter Rock-Fanatiker. In der Besetzung ihrer größten Erfolge werden Krokus von Fans und Kritikern gleichmermaßen gefeiert. Doch die Band hält wieder nicht lange durch.
Schlagzeuger Freddy Steady steigt 2011 aus und ein Jahr später holen Marc Storace (Gesang), Chris von Rohr (Bass), Fernando von Arb (Gitarre) und Mark Kohler (Rhythmus Gitarre) ihren alten Weggefährten Mandy Meyer (Ex-Gotthard) von Unisonic als dritten Gitarristen ins Boot. Im Studio stößt schließlich noch der frühere Pink Cream 69 Drummer Kosta Zafiriou hinzu. "Dirty Dynamite" heißt das, was am Ende dabei herauskommt. Eins vorneweg: mit Dynamit haben die weitgehend harmlosen 12 Songs leider recht wenig gemein. Aufgenommen wurden sie teilweise in den legendären Abbey Road Studios in London. Dort, wo einst die Beatles wirkten. Kein Wunder also, dass Krokus auch ein Cover der Fab Four im Gepäck haben. Aus dem krawalligen "Help" machen sie eine verträumte Rock-Ballade. Ganz interessant, aber auch nicht zwingend notwendig. Angesichts des besonderen Spirits der legendären Studios aber nachvollziehbar.
Abgesehen von diesem ruhigeren Titel geht es auf "Dirty Dynamite" aber gewohnt rockig zu. Wenn auch mit angezogener Handbremse. Man merkt allen Beteiligten ihr fortgeschrittenes Alter an. Die ganz schnellen Energiebolzen sind nicht mit dabei und auch die Riffs klingen nicht mehr ganz so dreckig wie auf dem Vorgänger. Böse Zungen würden wohl sagen, dass die alten Herren ihren Biss im Jahr 2013 nun endgültig verloren haben. Und wenn man ehrlich ist, stimmt das wohl auch. Nur mit gutem Willen sind angesichts des über weite Strecken erschreckend einfallslosen und eintönigen Materials drei Sterne drin.
Trotzdem ist der Opener "Hallelujah Rock'n'Roll" gleich ein Hit. Das liegt vor allem am extrem eingängigen Refrain. Wirklich heavy ist das nicht, aber es macht Freude. Und das zählt ja in erster Linie. Auch wenn das altbewährte vier-viertel Schema an manchen Stellen etwas zu bieder und vorhersehbar daherkommt.
Zu den spannendsten Titeln gehört der energische Boogie-Rock "Rattlesnake Rumble". Geht in die Glieder und lässt sich auch schnell mitsingen. Geile Nummer, auch wenn restloses Ausflippen anders aussieht.
Der schnellste Titel heißt "Let the good times roll". Hier blitzt sie endlich mal auf, die ungeschliffene Power, die den Charme von Krokus seit jeher ausmacht. Könnte eins zu eins von AC/DC stammen und das ist in diesem Fall als Kompliment zu verstehen. Da wackelt sie zufrieden, die ergraute Mähne.
Selbiges gilt auch für "Live ma life", den dreckigsten Song des Albums. Klasse Refrain und ein kraftvolles Riff. So muss das sein!
Außerdem sticht "Yellow Mary" heraus. Bester Cabrio-Rock der altmodischsten Sorte, der auch bei sommerlichen Grillfesten nicht fehl am Platze ist, ansonsten aber keinen echten Metaller hinterm Ofen hervor lockt. Der "Dög Song" schlägt in eine ähnliche Kerbe.
Dagegen ist die Single "Dirty Dynamite" ein zweischneidiges Schwert. Einerseits schon eingängig, andererseits aber auch viel zu einfältig. Hier kann selbst der letzte Rentner noch mitwippen, ohne vom Sessel zu fallen. Ein bisschen mehr Mut zum Risiko hätte es an dieser Stelle dann doch sein dürfen. Beim ersten Hören war ich maßlos enttäuscht. Mittlerweile geht die Nummer in Ordnung. Ein Honky Tonk Piano hört man in der Schweiz nämlich eher selten.
Die restlichen Stücke sind allesamt in Ordnung. Den absoluten Überkracher sucht man aber vergebens. So muss "Dirty Dynamite" leider eher als angestaubtes Altherrenalbum gelten, dem jegliche Experimentierfreude abgeht. Und selbst bei den bewährten Elementen ist nichts dabei, was einen total von den Socken haut. Auch die etwas dumpfe Produktion reduziert die Power merklich. Chris von Rohr hätte die Gitarren getrost deutlicher in den Vordergrund mischen dürfen. Massen an Jungfans gewinnt man so nicht gerade dazu. Und auch die fehlende Spritzigkeit wird dadurch nicht gerade kaschiert.
In den Charts ist das Ganze aber durchaus erfolgreich. Platz 1 in der Schweiz und ein respektabler 17. Rang in Deutschland können sich sehen lassen. In den 80ern hätte man das Songmaterial "Anbiederung an den Mainstream" genannt. Da eine solche Bezeichnung vollkommen daneben ist, belasse ich es bei folgendem Urteil: in Ordnung, aber keinesfalls herausragend. Sobald eine Band ein gewisses Alter erreicht hat, ist das mehr als man erwarten kann. Insofern alles richtig gemacht. Ob es noch einmal ein richtiges Hard Rock Album von Krokus geben wird, darf aber bezweifelt werden.