Am höchsten bewertete kritische Rezension
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3,0 von 5 SternenEs gibt Bessere, aber so schlecht ist sie auch nicht
Vonfunmondam 15. September 2012
Gleich zu Anfang, ja es gibt bessere Carmen-Aufnahmen. Aber gar so schlecht ist diese auch nicht.
Auf der Bühne würde ich Frau Norman die Carmen niemals abkaufen, selbst in einer Inszenierung von Otto Schenk, Franco Zeffirelli oder Jean Pierre Ponnelle nicht. Aber auf CD wäre das eine andere Sache.
Sie singt weich und warm timbriert - ich würde fast sagen sie schnurrt wie eine Katze - und dies kann auch verführerisch und sinnlich klingen. Hat also auch seinen Reiz. Die verträumten und langsamen Tempi bei der Habanera stören mich eigentlich nicht. Irgendwie hat man den Eindruck, diese Carmen hypnotisiert die Männer anstatt sie mit ihrem Sexappeal zum Wahnsinn zu treiben.
Sicher auch eine Rollenauffassung, aber für mich ist Carmen ein rassiges Teufelsweib, für die die Liebe nur ein Spiel ist. Und auch wenn ich jetzt ein Sakrileg begehe, muss ich bekennen, dass auch Frau de los Angeles, in der phantastischen Sir Thomas Beecham-Aufnahme, für mich keine Carmen ist.
Hier geht es mir wie mit Frau Norman. Sie singt zum niederknien und ich stimme allem zu was über sie als Carmen geschrieben wurde. Und die Beecham-Aufnahme ist unberufen eine der besten Carmen-Einspielungen die es auf dem Markt gibt und ich liebe sie. Aber - tut mir leid - für mich ist Carmen eben ... (siehe oben). Maria Callas unter Pretre; Julia Migenes unter Maazel (DVD), Grace Bumbry unter Karajan (DVD) oder Agnes Baltas ebenfalls unter Karajan (CD) oder Levine (DVD) sind für mich Carmen.
In einer der Rezension zur Karajan Aufnahme habe ich über das Aussehen von Frau Baltas gelesen (Zitat: Gut, dass man sie auf CD nicht sehen muss). Hiezu möchte ich noch erwähnen, dass ich noch nie gelesen habe, dass Carmen eine Schönheit sein muss.
Mit dem Sänger des Don José, Neil Shicoff, habe ich auf Tonträger so meine Probleme. Ich habe das Glück gehabt ihn mehrmals Live zu erleben und war immer begeistert. Aber auf CD fehlt mir immer etwas.
Nicht so in dieser Aufnahme. Er ist glaubhaft als der junge Mann aus Provinz, man nimmt ihm die über ihn herein brechende Leidenschaft voll ab und die französische Diktion liegt ihm einfach.
Das Mirella Freni als Micaela nicht mehr jungmädchenhaft klingt, war mir beim Kauf der CD klar. Man kann bekritteln, dass sie sich wie Josés ältere Schwester anhört,
aber was ihr an Jungmädchenhaftigkeit in der Stimme fehlte macht sie mit der langjährigen Erfahrung wieder gut.
Wer eine wirklich jungendlich klingende Mirella Freni als Michaela hören möchte, dem sei Karajans Einspielung mit Price, Corelli und den Wiener Philharmonikern oder die DVD mit Bumbry und Vickers - hier kommt zu ihrer Stimme auch noch ihr entzückendes Aussehen dazu - empfohlen.
Dem Escamillo von Simon Estes fehlt meines Erachtens die Arroganz, dieses Stolz wie ein Spanier"-Gehabe. Und wie bei Frau Norman kaufe ich ihm den Stierkämpfer nicht ganz ab. Gesanglich ist er aber 1A.
Alles im Allem ist diese Aufnahme sicher keine Jahrhundertaufnahme und das Tamtam bei ihrem ersten Erscheinen war nicht gerechtfertigt. Ich würde sie mir auch nicht als einzige Carmenaufnahme ins Regal stellen, dazu gibt es bessere. Aber so schlecht wie manchmal behauptet wird ist sie auch nicht. Sie ist eben anders.