Warum? Weil dieser Film - für mich - eindrucksvoll aufzeigt, mit welchen Herausforderungen sich ein/e Autist/in nahezu pausenlos konfrontiert sieht. Und auch, welche (Aus-) Wirkungen dies auf das (soziale) Umfeld hat, bzw. haben kann. Die Thematik wird mit einer wohltuenden Sensibillität und Weitsicht realisitisch aufgearbeitet und dargestellt. Hier geht es eben nicht um eine weinerliche, (Selbst-) Mitleid erregende Inszenierung der Probleme einer Autistin. Die Verzweiflung und die Überforderung sind authentisch und – meiner Meinung nach - deutlich fühlbar. Hielt ich bislang “Adam – Geschichte zweier Fremder” für den authentischsten Film in diesem Zusammenhang, so nimmt diese Position nun “Please Stand By” ein.

Subtile Darstellung als Spiegel der Realität
Wie ich einigen Rezensionen [ich habe übrigens alle gelesen] entnommen habe, ist die Darstellung teilweise so subtil, dass manche Aspekte einer Szene in ihrer Komplexität eventuell nicht verstanden werden können. Fakt ist, dass, will man den gesamten Film verstehen, es einer gewissen Erfahrung, eines “Blickes dafür” bedarf. Somit mag es mitunter schwierig sein, wenn man diesen “Blick” nicht hat. Nun kann man kritisieren und der Meinung sein, es sei folglich ein Versäumnis der Macher, wenn genau solche Feinheiten nicht offensichtlicher transportiert und beleuchtet werden. Ich für meinen Teil erachte dies jedoch als durchaus beabsichtigt und auch gelungen.
Es stellt sich grundlegend die Frage, welche Intention hinter diesem Werk steckt. Geht es darum, eine vollständige Aufklärungsarbeit für die breite Masse zu leisten? Ich glaube nicht! Genau dies wäre nämlich sehr weit entfernt von der Realität! Man darf nicht vergessen, dass es sich hier um einen Film und nicht etwa um eine Dokumentation oder eine Mischung aus beidem handelt. Daher dürfen Aspekte durch das Erkennungsraster fallen. Genau so, wie es leider auch Autisten/Innen immer wieder schmerzhaft (ggf. physisch wie psychisch) am eigenen Leib erfahren müssen – und zwar in der Realität!

Unter dem Radar
Der hier dargestellte Autismus liegt in seiner gesamten Wirkungsbreite in gewisser Weise unter dem Radar. Autisten/Innen werden häufig nicht als das erkannt, was sie sind: nämlich Autisten/Innen. Oder es wird ihnen einfach nicht zuerkannt, denn man sieht ihnen den Autismus nicht an. Und dies trifft desto mehr zu, je intelligenter der/die betreffende Autist/In ist. Nicht ohne Grund spricht man auch vom sogenannten “Wrong Planet Syndrome”, dem “Falsche-Welt-Syndrom”. Autisten/Innen können sich - wortwörtlich – wie Aliens auf einem fremden Planeten fühlen, dessen Regeln man nicht unbedingt versteht und die man erst durch “copy and paste”, kopieren und einfügen, anzuwenden lernt. Man sieht in ihnen eher “normale” Menschen, die lediglich etwas sonderbar, vielleicht sogar arrogant sind. Aber grundsätzlich wird ihnen eher aktive Verweigerung unterstellt: zu faul, zu bequem, zu selbstzentriert, zu unkonzentriert, zu verweigernd, zu verträumt… Aber all dies täuscht! Autisten/Innen kämpfen an zwei Fronten: mit der Welt da draußen, mit all ihren Anforderungen und sozialen Spielregeln, die mitunter so furchtbar unlogisch sein können. Und sie kämpfen mit sich selbst. So sind sie, je nach intellektueller Beschaffenheit, einerseits durchaus in der Lage komplexeste Sachverhalte zu erfassen und zu verarbeiten, die weit über den Fähigkeiten der Normalbevölkerung liegen, während sie sich selbst in kleinsten Alltagsangelegenheiten, wie z. B. ein Telefonat zu führen, immer wieder als hilfsbedürftiges Kind erleben müssen. Dies lässt verzweifeln und man entwickelt nicht unbedingt ein positives Selbstbild, denn man wird immer wieder mit den eigenen Versagensängsten konfrontiert. Wie mutig daher Wendys Entscheidung ist, sich überhaupt auf den Weg zu machen, ist wunderbar mitanzusehen.

Analyse, Analyse, Analyse – Überprüfung, Überprüfung, Überprüfung
Eine grundlegende Tatsache beim Autismus ist es, dass Autisten/Innen permanent analysieren. Das Gehirn nimmt beständig eine schier unendliche Flut an Informationen auf, die allesamt aktiv kognitiv verarbeitet werden müssen. Intuition ist eine Fähigkeit, über die Autisten so gut wie gar nicht verfügen. In einer sozialen Interaktion, einem Gespräch beispielsweise, kann ein/e Autist/In damit konfrontiert sein, permanent alles bewusst (!) aktiv zu verarbeiten: Mimik, Gestik, Position im Raum, Aussage, Satzmeldodie, Umfeld und vieles, vieles mehr. Und darüber hinaus auch: aktiv zu “berechnen”, wie die eigene Mimik auszusehen hat und diese entsprechend an die Muskeln zu senden, die eigene Gestik überdenken, ausführen und zu überprüfen, den Kontext des Gespräches erfassen und die eigene Aussage formulieren und aussenden, immer wieder überprüfen zu müssen, ob eigene Reaktionen und Aktionen immer im adäquaten Verhältnis zur Situation und dem Gesprächspartner stehen, und, und, und…

Diese Welt ist penetrant immersiv
In der Szene, in der Wendy in Middleton City (?) ankommt (bei 43:40) und den dortigen Geräuschen (akustischen Reizen) ausgesetzt ist, zeigt sich, wie sehr sie darunter leidet. Sie singt und hält sich die Ohren zu. Wenn man bedenkt, dass das autistische Gehirn ungefiltert alle Reize wahrnimmt, ggf. sogar völlig unabhängig von ihrer wahren Intensität, Qualität und Quantität und alles zu einem überfordernden Gesamten wird, offenbart, wie “beeindruckend” diese Szene nicht zuletzt in ihrer Darstellung ist. Was folgt, ist ein sogenannter Overload, eine Reizüberflutung. Im schlimmsten Falle führt dies letztlich zu einem Shutdown, einem Zusammenbruch. Wie fürchterlich eine Welt wirken muss, wenn man alle Reize, egal ob akustisch, visuell, taktil, olfaktorisch oder gustatorisch ungefiltert und massenhaft wahrnimmt, mag sich vielleicht nach einer solchen Szene eher zu erschließen. Und das Singen dient der Selbststimulation, einer Kompensationstechnik, um schwierige Situationen für Autisten/Innen zu überstehen (um doch häufig zu scheitern). Diese Welt ist für viele Autisten/Innen häufig eine wahrhaft penetrierende, immersive Welt: sie dringt in diese Personen ein, die sich verzweifelt dagegen zu wehren versuchen. Wie sollte es da überraschen, dass z. B. die Siuzidrate bei Autisten neunmal höher als bei der Normalbevölkerung ist (vgl. “Premature mortality in autism spectrum disorder, The British Journal of Psychiatry, 2016).

Nachwort
Ich bitte darum, sowohl die Länge meiner Rezension, als auch deren Breite zu entschuldigen. Aber ich sah hier die Möglichkeit, einmal grundlegend für das Thema Autismus zu sensibilisieren. Was ich hier weitergebe, ist auschließlich meine eigene Meinung, Erfahrung und Sicht auf die Dinge! Insgesamt ist das Thema natürlich wesentlich komplexer, als dass ich hier einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben könnte. Ich persönlich bin extrem beeindruckt von diesem Film und hatte, zugegeben, mehrfach Tränen in Augen. Es stimmt alles: Drehbuch, Regie, Schnitt, Darstellung… eine wirklich großartige Leistung. - Danke, für diesen Film!

Und ja, ich selbst bin Autist!

Please stand by“ wurde 2017 als eine Mischung aus Comedy und Drama verfilmt.
Hauptdarstellerin ist die Amerikanerin Dakota Fanning (geb: 23.02.94). Sie wurde u.a. bekannt durch die weltweit erfolgreichen Serien „Alley Mc Beal“, „Emergency Room“, „Friends“ und „CSI Miami“. Neben aktiven Rollen machte sie sich einen Namen als Synchronsprecherin, u.a. in dem Animationsfilm „Coraline“. Dass sie die Schauspielkunst beherrscht, beweisen diverse Auszeichnungen, wie der Young Artists Award und der BFCA Award.

Handlung:
Das autistische Mädchen Wendy, gespielt von Dakota Fanning, wächst nach dem Tod ihrer Mutter zunächst bei ihrer älteren Schwester Audrey (Alice Eve) auf. Audrey liebt ihre kleine Schwester sehr, sie ist aber schnell überfordert von dem zwar hoch begabten aber unzugänglichen und unberechenbaren Kind. So muss Wendy in ein Heim. Dort bekommt sie die für autistische Menschen so wichtige Struktur und ein intensives Training ihrer sozialen Fähigkeiten. Sie wird in ihrer so besonderen Art erkannt, liebevoll betreut und gefördert. Eine recht vertrauensvolle Beziehung hat sie zu ihrer Therapeutin Scottie (Toni Collette).
Sie entwickelt sich so gut, dass sie einen Job in einer Bäckerei annehmen kann. Den Job mag sie gar nicht, aber das routinierte Backen von Zimtschnecken, das jeden Tag gleich abläuft, tut ihr gut. Dass ihr Kollege sie sehr mag, scheint sie nicht zu spüren.

Wendy hat ein spezielles Interesse für Sciences Fiction, dem sie jede freie Minute widmet. Sie verarbeitet in einem selbst geschriebenen Drehbuch über Star Trek ihre autistischen Eigenschaften, ihre Ängste und ihre Träume. Ihr größtes Ziel ist es, an einem Wettbewerb für Jungautor_innen teilzunehmen, nicht zuletzt um der Welt zu zeigen, dass sie mehr ist, als ihre Behinderung.
Unterdessen ist ihre Schwester Mutter geworden. Sie ist hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu Wendy, ihrem schlechten Gewissen, das Kind in ein Heim gegeben zu haben und ihrer Furcht, das Mädchen wieder zu sehen. Sie überwindet sich aber und besucht Wendy, um ihr ihre Nichte vorzustellen. Wendy wünscht sich schon lange nichts sehnlicher, als wieder bei ihrer Schwester leben zu dürfen. Aber Audrey lehnt ab, zu angstvoll ist ihre Erinnerung an die überfordernden Tage aus Kinderzeiten. Sie möchte die Verantwortung nicht übernehmen, denn sie traut Wendy ein Leben außerhalb des Heimes nicht zu. Traurig und frustriert verfolgt Wendy umso mehr das Ziel, ihr Drehbuch beim Wettbewerb einzureichen.
Sie möchte sicher gehen, dass ihr Skript auch wirklich ankommt und beschließt, es persönlich zum Abgabeort zu bringen. Sie besiegt alle ihre Ängste, entwischt aus dem Heim und macht sich auf den Weg zu Paramount Pictures in Los Angeles, immer dabei ihren Block mit den Anweisungen, wie sie sich in welcher Situation zu verhalten hat- und ihren kleinen Hund. Auf dem Weg nach LA muss sie über sich selbst hinauswachsen. Sie muss den für Autisten so belastenden Lärm und die Wirrungen einer Großstadt bestehen. Sie wird aus dem Bus geworfen. Sie traut sich, einer fremden Frau mit Kind zu vertrauen und wird prompt beklaut. Zu guter Letzt wird sie in einen Unfall verwickelt und landet im Krankenhaus. Auch von dort flieht sie und verfolgt hochfunktional, zielstrebig und unaufhaltsam ihren Weg zu Paramount, die besorgten Bezugspersonen stets im Nacken. Am Ende schafft sie es gegen alle inneren und äußeren Widerstände tatsächlich, ihr Manuskript rechtzeitig an Ort und Stelle abzuliefern- und vergisst vor lauter Freude sogar ihre sonst so eisern beachteten Regeln.
Dass ihr Drehbuch nicht gewinnt, ist halb so wild, denn ihr größter Wunsch geht in Erfüllung. Ihre große Schwester fasst Vertrauen und Wendy darf wieder bei ihr leben. Und nicht nur das: Sie schafft es, eine emotionale Beziehung zu Mandy aufzubauen und damit ihren Traum zu erfüllen, den sie in einer Szene ihres Drehbuches niedergeschrieben hatte: „Ich wollte es Dir zeigen. Es wird Zeit, Scot ziehen zu lassen, auf das er sein menschliches Herz findet.“

Selten wurde ein Film über einen hochfunktionalen, autistischen Menschen so hervorragend recherchiert. Mangelnder Blickkontakt, Berührungsängste, Überforderung durch Lärm und Menschen, Routinen und Spezialinteressen werden ebenso realistisch gezeigt, wie die für Autismus so typischen Diskrepanzen zwischen ausgezeichneter Leistungsfähigkeit in intellektuellen Bereichen, die im Interesse dieser Person liegen, und zum Teil nahezu völligem Versagen in alltagspraktischen und zwischenmenschlichen Situationen.
Besonders beeindruckend ist es in den Schlussszenen gelungen, darzustellen, dass Autisten keine emotionslosen Monster sind, sondern vor allem unter günstigen Umständen sehr wohl innigen und herzlichen Kontakt zu anderen aufbauen können.

Es stellt sich lediglich eine kritische Frage: welchen komödiantischen Anteil soll dieser Film haben. Weder wurde die Handlung lustig inszeniert, noch ist es sicherlich nicht komisch, autistisch zu sein in einer Welt, die nach Regeln funktioniert, die sich Menschen, egal in welchem Bereich des Spektrums, nie wirklich erschließen werden.

Lieben sie kleine, feine Filme? Mögen sie es, wenn ein Drehbuch mit Herzblut geschrieben wird? Sollten sie diese drei Fragen mit „Ja“ beantworten, dann schauen sie sich bitte -Please Stand By- an. Ben Lewin hat eine wundervolle Geschichte auf die Filmrolle gebannt und da ich die ersten drei Fragen mit „Ja“ beantwortet habe, sind mir beim Anschauen auch ein paar Tränen über die Wangen gerollt. Das ließ sich bei dieser Story nicht vermeiden…

Wendy(Dakota Fanning) ist Autistin und Star Trek-Fan. Als sie erfährt, dass Paramount Pictures einen Drehbuchwettbewerb ausgeschrieben hat, legt Wendy los. Sie kann weiß Gott nicht alles im Leben, aber schreiben, das kann sie. Das Problem ist nur: Das Drehbuch muss bis zum 16. Februar, 17 Uhr, bei Paramount sein. Das sind noch zwei Tage. Ein Sonntag und ein Feiertag. Da es an diesen Tagen keine Post gibt, macht sich Wendy von San Francisco aus allein auf den Weg. Na ja, nicht ganz allein. Sie hat den kleinen Hund Pete dabei. Während ihre Betreuerin Scottie(Toni Collette) und ihre Schwester Audrey(Alice Eve) Wendy suchen, unternimmt die eine Reise, die so spannend und gefährlich wie die Erforschung neuer Welten ist…

Ich sage mal: Perfekt! Jedenfalls für meinen Filmgeschmack. Die Idee Star Trek und die Geschichte der an Autismus leidenden Wendy zusammenzubringen ist schlichtweg genial. Mit wenig Aufwand hat Ben Lewin hier einen Film gemacht, den man nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen schauen kann.